Belastet flexibles Arbeiten die Psyche?

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14.10.2021

Belastet flexibles Arbeiten die Psyche?

Wo früher 9-to-5-Jobs den Arbeitsmarkt regierten, werden diese heutzutage immer stärker von einer neuen, stetig an Popularität gewinnenden Arbeitsform überholt: die Rede ist vom flexiblen Arbeiten. Neben Modellen wie Gleit- oder Teilzeit, Schichtarbeit sowie Jobsharing haben primär das Home- und Mobile Office aufgrund ansteigender Digitalisierung das Rampenlicht auf sich gelenkt. Besonders glänzen kann diese innovative Form mit positiven Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie. In einer repräsentativen Umfrage der iga (Initiative Gesundheit und Arbeit) gaben 64 Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 69 Jahren an, durch die gesteigerte Flexibilität Berufliches deutlich besser mit Privatem verbinden zu können. Als Vergleich- bei den Vollzeitbeschäftigten entstand lediglich ein Wert von 45 Prozent. Ein klarer Sieg für dieses Arbeitszeitmodell?

Wo Licht in Form der freieren Gestaltungsmöglichkeit ist, folgt leider schnell auch Schatten. Die Arbeitspsychologin Ulrike Hellert positionierte sich in einem Interview mit Zeit Online vom 22. April 2015 auf die Frage, wie sie die zukünftige Entwicklung flexibler Arbeitszeiten einschätzt und welche Auswirkungen zu erwarten sind, folgendermaßen:

„In Zukunft werden die Arbeitszeiten noch flexibler. Denn wir arbeiten heute anders. Viele körperlich belastende Produktionsschritte konnten durch Technik reduziert werden, zugleich haben psychische Belastungen zugenommen, besonders durch einen hohen Termin- und Leistungsdruck. Hinzu kommt immer mehr mobiles Arbeiten. Egal wo auf der Welt und wann: Es ist für immer mehr Beschäftigte möglich, überall und jederzeit zu arbeiten. Das kann auf Dauer aber krank machen, wenn nicht genügend Handlungsspielraum vorhanden ist.“

Wie Hellert hier beschrieben hat, existieren auch bei vermeintlich größerer Freiheit neue, unbekanntere Problematiken, welche von den Arbeitnehmer*innen alleine zu bewältigen sind. Im Folgenden klären wir deshalb sowohl Vor- als auch Nachteile flexiblen Arbeitens, reflektieren anschließend, welche Auswirkungen auf unsere Psyche uns erwarten und wie wir dem präventiv entgegenwirken können.

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Warum erst alte Traditionen Revolutionieren? Die Chancen flexiblen Arbeitens

Bevor wir uns unserer Kernfrage und den psychischen Auswirkungen flexiblen Arbeitens widmen, betrachten wir zunächst mögliche Vorteile, die diese Arbeitsform sowohl für Arbeitgeber:innen als auch -nehmer:innen mit sich bringen kann. Auf psychologischer Ebene wird beispielsweise innerhalb der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan aus dem Jahr 2014 Autonomie als ein entscheidendes Grundbedürfnis aller Menschen aufgeführt, dessen Erfüllung bedeutend für unsere mentale Gesundheit ist. Kurz gesagt: wenn wir also unsere Arbeitszeiten selbst bestimmen dürfen, steigert das unser Empfinden von Unabhängigkeit und Kontrolle über das eigene Leben; wir fühlen uns freier.

„Tut mir leid, aber zu dieser Uhrzeit muss ich leider arbeiten!“- ein Zitat, welches man aus dem Mund vieler Arbeitnehmer*innen mit flexiblen Arbeitszeiten definitiv nicht so häufig hören wird wie bei jemandem, welcher durch einen streng getakteten Tag gebunden ist. Und eine optimale Vereinbarkeit von Privatem und Beruflichem wünscht sich vermutlich jeder, immerhin ist eine gesunde Work-Life-Balance der Schlüssel zu gesteigerter Produktivität und Effektivität. Das Gefühl, neben der Arbeit auch den Freiraum für Außerberufliches selbst wählen zu können, stärkt unser Wohlbefinden und kann dabei helfen, motivierter unsere Aufgaben zu erledigen. Daraus folgt: das eigenständige Wählen der eigenen Arbeitszeit kann die Mitarbeiterzufriedenheit erheblich steigern!

Wann, wo und wie du willst- gerade Stellen im Homeoffice sind häufig wie gemacht für flexible Arbeitszeitmodelle, schließlich wird lediglich ein mobiles Endgerät, beispielsweise ein Handy oder der Laptop, benötigt. Die Zeitsouveränität erlaubt es Arbeitnehmer*innen, ihren privaten Rhythmus optimal auf ihre Arbeitszeiten abzustimmen und Termine wahrzunehmen, ohne Urlaub beantragen zu müssen. Besonders für Familien mit Kindern oder Menschen mit einer weiteren Beschäftigung punktet dieses Modell also mit einem reichlichen Schub an Individualität.

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Durchgehend online- die Risiken flexibler Arbeit

Allgemein gesprochen ist jedoch mit der Etablierung flexibler Arbeitszeiten für eine verbesserte mentale Gesundheit das Rad leider auch nicht neu erfunden: Eben noch diese eine Mail beantworten, den Anruf tätigen, die letzte Aufgabe erledigen: durch die ständige Erreichbarkeit sowie fehlende räumliche Trennung von Arbeit und privatem Umfeld entsteht für viele ein Gefühl des Nicht-Abschalten-Könnens.

Ohne fest definierten Anfang ist es schwer, ein Ende zu finden, was schnell inneren Druck auslösen kann und eine ausreichende Regeneration nach der Arbeit einschränkt, wenn nicht sogar verhindert. Die einhergehende Selbstorganisation bietet zwar die Chance, berufliche Freiheit zu gewinnen, allerdings kann hierbei auch schnell der Überblick verloren gehen- es entsteht ein erhöhtes Stresslevel.

Dass durch die Verschmelzung von Arbeit und Privatleben am Ende sogar weniger Freizeit übrig bleibt als bei anderen Arbeitszeitmodellen, konnte die Genderforscherin Dr. Yvonne Lott vom WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf ermitteln. In ihrer Studie, basierend auf einer Wiederholungsbefragung von Privathaushalten, untersucht Lott, wie viele Stunden Mütter und Väter pro Woche für die Betreuung ihrer Kinder investieren. Darüber hinaus wird angegeben, welche Anzahl an Überstunden geleistet wird und wie viel Zeit letztendlich für persönliche Erholung bleibt.

Ihr Fazit: unerwartet. Bei flexibler Zeiteinteilung kommt es sogar zu längeren Arbeitszeiten und Überstunden: „Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Erwartungen an Beschäftigte, den Job vor alles andere zu stellen, und die hohen Leistungsanforderungen, die vor allem mit völlig selbstbestimmten Arbeitszeiten und Homeoffice einhergehen können, den Freizeitgewinn verhindern“ (WSI Report Nr. 47, 2019, S. 8).

Welche Symptome psychischer Belastung gibt es?

So, nachdem wir sowohl über die Schokoladenseite als auch mögliche negative Auswirkungen dieses Arbeitszeitmodells gesprochen haben, ist es nun wichtig für sich selbst zu reflektieren, ob flexible Arbeitszeit sich positiv oder sogar negativ auf das eigene Leben auswirkt. Aber wie genau kann ich denn für mich erkennen, ob meine mentale Gesundheit unter meinem aktuellen beruflichen Rhythmus leidet?

Hier folgen einige Punkte, die natürlich keine ärztliche Diagnose, aber einen Anhaltspunkt zur Selbstreflektion bieten:

  • andauernde Müdigkeit und Antriebslosigkeit
  • Schlafstörungen
  • Pessimismus sowie Niedergeschlagenheit
  • Nervosität und Unruhe
  • Körperliche Symptome (wie Kopf- und Bauchschmerzen, Schwächegefühl)
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • erhöhte Vergesslichkeit

Was können Arbeitnehmer*innen also tun, um ihre mentale Gesundheit zu fördern?

Um ein abschließendes Fazit zu ziehen, lässt sich eine Kernaussage aus den Vor- und Nachteilen kristallisieren: wie bei fast allen Bereichen des Lebens kommt es auch hier weniger auf das „was“, sondern mehr das „wie“ an. Flexibilität innerhalb der Arbeitszeiten kann beides, sich sowohl positiv als auch negativ auf das Privatleben und unsere Psyche auswirken, es kommt auf die persönliche Handhabung an.

Fest steht: um eine stabile Work-Life-Balance aufrecht zu erhalten, bietet dieses Arbeitszeitmodell jedenfalls eine großartige Chance. Falls die Kinder doch eine Stunde später zur Schule gebracht werden müssen, der Arzttermin auf einen ungünstigen Vormittag fällt oder die Bahn sich verspätet- deine Probleme von gestern sind heute vergessen. Auch in kreativen Berufen können flexible Arbeitszeiten besonders von Vorteil sein, schließlich hat Goethe seine Werke vermutlich auch nicht alle zur selben Tageszeit verfasst. Damit die Chancen den Risiken jedoch überwiegen und du die Vorteile einer freieren Gestaltung deines beruflichen Lebens gesund genießen kannst, folgen hier einige Tipps:

  • Eine wichtige Voraussetzung, sich jedoch bei der eigenständigen Einteilung der Arbeitszeiten nicht in einem schwarzen Loch an Überstunden und Zeitdruck zu verlieren, ist die Planung. Eine klare Trennung, wann du dich mit Beruflichem und wann mit Privatem beschäftigst. Die Dokumentation der Arbeitsstunden kann dir dabei helfen, um nicht über deine Höchstarbeitszeiten zu kommen und kein Ende zu finden.
  • Aus ist aus: Sobald der Laptop zugeklappt und der Stift beiseitegelegt ist, beginnt der wohlverdiente Feierabend. Die Mails, die nach diesem Zeitpunkt eintreffen, müssen bis morgen warten, denn jetzt hast du dir deine Pause verdient.
  • Schließe mit den Tabs am Rechner auch die Tabs in deinem Kopf. Abzuschalten ist schwierig, allerdings wird dies durch undefinierte Arbeitszeiten weiterhin verstärkt. Deshalb ist es bei diesem Modell besonders entscheidend, dass du die Trennung zwischen Beruf und Privatleben nicht vergisst.
  • Lege dir deine Arbeitszeiten im Voraus zurecht, somit kommst du gar nicht erst in Versuchung, doch darüber hinaus zu arbeiten oder dich ablenken zu lassen.
  • Beantworte keine privaten Nachrichten beim Arbeiten- und umgekehrt auch keine beruflichen in deiner Freizeit.

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