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28.01.2022
„Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, korrumpiert die Sprache auch das Denken“- George Orwell
Ob mit Sternchen, Doppel- oder Mediopunkt: eine Debatte von derartiger Emotionalität darüber, wie geschlechterspezifisch und diskriminierend unser aller Sprachgebrauch wirklich ist, scheidet innerhalb der 20er Jahre des 21. Jahrhunderts zahllose Geister unserer Medienkultur. Fakt ist: Mit einem Frauenanteil von 22,6 Prozent (Statista, 2017) und einem Wert von 68,6 im Gender Equality Index 2021 des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) belegt Deutschland einen Platz im Ranking der EU-Mitgliedsstaaten mit den schlechtesten Werten, welche den relativen Abstand zwischen den Geschlechtern angeben. Zum Vergleich: mit 83,9 weist Schweden das höchste Maß an Gleichberechtigung auf- ein Wert, von welchem wir nach wie vor weit entfernt zu sein scheinen. Um diesem Problem auf die Schliche zu kommen, existiert etwas, das sowohl als Fluch als auch als Segen bewertet wird: die Rede ist vom Gendern.
Arbeitnehmer:innen, Schüler*innen oder doch SängerInnen? Die Diskussion darüber, wie und vor allem ob geschlechtergerechte Sprache funktioniert, heizt den ohnehin bereits brodelnden Kessel der Gleichstellungsdebatte weiter an und sorgt für ordentlich Gegenwind von allen Seiten. In der feministischen Linguistik wird hier die These vertreten, dass maskuline Bezeichnungen weibliche Personen weniger sichtbar oder vorstellbar zeigen als männliche- stimmt das wirklich?
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Die Debatte läuft durch hohe emotionale Aufladung Gefahr, sich schnell von konstruktiver Kritik in eine persönliche Meinungsäußerung zu verwandeln– Begriffe wie Zwang, Sprachveränderung und Zensur fallen. CDU-Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz zeigte mit folgendem Twitter-Beitrag vom 17. April 2021, dass selbst in der Politik Zwietracht herrscht: „Grüne und Grüninnen? Frauofrau statt Mannoman? Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Mutterland? Hähnch*Innen-Filet? Spielplätze für Kinder und Kinderinnen? Wer gibt diesen #Gender-Leuten eigentlich das Recht, einseitig unsere Sprache zu verändern?“.
Daher stellen wir uns in diesem Artikel der Beantwortung folgender Fragen, welche nicht nur den heutigen Sprachliebhaber:innen die Köpfe rauchen lassen:
Wir befinden uns in den 1980er Jahren: eine Zeit, welche in Deutschland und sämtlichen anderen industrialisierten Staaten Europas die proletarische Frauenbewegung auslöste. Was mit einem Schrägstrich als erstes feministisches Zeichen begann, wurde vom Journalisten Christoph Busch als Binnen-I übernommen und mit ihm die Geburtsstunde einer Debatte eingeführt, welche das nachfolgende Jahrhundert noch lange beschäftigen wird. Nachdem dieser in seiner Publikation über Freie Radios von HörerInnen berichtete, wurde die neue Schreibweise zwei Jahre später von den ersten Zeitungen etabliert- das Gendern war erschaffen.
Die Bezeichnung des Genderns an sich lässt sich jedoch deutlich weiter zurückverfolgen bis ins Jahr 1955, in dem John Money, ein britischer Sexualwissenschaftler, dem Begriff erstmals verwendete. Heute wird unter dem Anglizismus das soziale Geschlecht verstanden, welches sich vom biologischen Geschlecht (englisch sex) abgrenzt. Das Gender beschreibt hier eine soziale Kategorie, nämlich die Geschlechtsidentität und damit einhergehende Rollenverhältnisse innerhalb der Gesellschaft. Das Gendern kann folglich als eingedeutschte Ableitung des Genderns verstanden werden, welche die Berücksichtigung sämtlicher Geschlechter in öffentlichen wie privaten Institutionen proklamiert.
Der deutschen Sprache wird häufig nachgesagt, kompliziert zu sein. Lange, verschachtelt zusammengesetzte Wörter reihen sich aneinander, welche durch unsere vier Fälle dekliniert, Verben in sechs Zeitformen konjugiert werden. Und als wäre die Aussprache nicht bereits Hürde genug, existiert neben dem eben beschriebenen biologischen und sozialen auch noch ein grammatisches Geschlecht, welches vermutlich so manche Sprachlernende in die Flucht geschlagen hat. Der, die, das- wo im Englischen ein kurzes „the“ oder im Französischen „le“ für die männliche, „la“ für die weibliche Form genügen, wird im Deutschen mit Artikeln wortwörtlich um sich geworfen. Denn: das Verhältnis zwischen einem Begriff und seinem grammatischen Geschlecht scheint oft willkürlich gewählt - dass es „der Mann“ und „die Frau“ heißt, ergibt durchaus Sinn, aber wer hat festgelegt, dass es „der Tisch“, aber „die Lampe“ heißt?
Von der Grammatik zur Gesellschaft- wie wir oben sehen, hat das grammatische Geschlecht häufig keinen direkten Bezug zum biologischen, was uns jedoch durch die Bezeichnung als „männlich“, „weiblich“ oder „sachlich“ impliziert wird. Das ist zugegeben verwirrend, denn: handelt es sich explizit um männliche Individuen - wie bei unserem oberen Beispiel „der Mann“ oder auch „der Junge“ - wird vom spezifischen Maskulinum gesprochen. Dieses gerät jedoch häufig mit folgendem Begriff in Verwechslung: dem generischen Maskulinum. Gegensätzlich wird hierunter nämlich ein Oberbegriff verstanden, welcher keinerlei Bezug zu den darunter gefassten Personen setzt und als rein grammatisch gilt- daher kann man sagen: nein, das generische Maskulinum an sich ist nicht diskriminierend.
Aufgrund des Gleichklangs kann jedoch schwer zwischen beiden unterschieden werden: Sind mit Lehrern nun ausschließlich männliche Personen im Sinne des spezifischen Maskulinums gemeint oder doch alle Personen, welche die Tätigkeit des „Lehrens“ ausführen? Und genau hier setzt die Debatte des Genderns ein.
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„Das Band der Gesellschaft sind Sprache und Vernunft“- wie bereits der römische Philosoph und Politiker Marcus Tullius Cicero erklärte, stellt Sprache einen elementaren Bestandteil des Zusammenlebens dar, welcher sowohl 43 v. Chr. als auch im 21. Jahrhundert n. Chr. die Fugen unserer Gesellschaft schließt- oder möglicherweise weiter spaltet.
Daher ist es wenig verwunderlich, dass die Debatte um eine Sprache, die für alle Geschlechtsidentitäten gerecht ist, enorme Auswirkungen mit sich bringt. Bevor wir uns jedoch der Frage widmen, wie Gendern genutzt werden kann sowie was für und was überhaupt dagegenspricht, schauen wir uns an, welche verschiedenen Formen uns begegnen können:
Unsere Sprache und das mentale Konzept, welches wir von den daraus bestehenden Lauten besitzen, sind eng miteinander verknüpft. Bereits im 20. Jahrhundert fand der Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure mit seinem Zeichenmodell heraus, dass eine Verbindung zwischen sprachlichem Zeichen und dem dazugehörigen Symbol insofern besteht, dass wir eine klare Vorstellung von der Bedeutung besitzen, die in unserem Kopf beim Hören eines bestimmten Wortes entsteht.
Im übertragenen Sinne können wir also festhalten, dass man unsere Gedanken erst dann verändern kann, wenn man das dazugehörige Lautbild auch variiert. Stellen wir uns das an einem einfachen Beispiel vor: Wenn wir das Wort „Baum“ hören, werden wir beinahe automatisch an den protypischen Vertreter denken, den wir mit diesem Begriff assoziieren: groß, eine grüne Blätterkrone, dunkle Rinde- dass allerdings nicht alle Pflanzen, welche ebenfalls zu den Bäumen zählen, hier aufgeführt werden, ist logisch. Und genau hier liegt der Ursprung der Gender-Debatte.
„Sprache ist ein kleiner Mosaikstein in einer großen gesellschaftlichen Debatte“, so die Sozialpsychologin Sabine Scesny in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau am 19. September 2020. „Forschung belegt, dass Sprache einen Effekt hat. In einer Studie wurden deutschen und belgischen Kindern im Alter von acht und neun Jahren verschiedene Listen mit Berufen vorgelegt. Wenn die Bezeichnungen sowohl männlich als auch weiblich waren, interessierten sich mehr Mädchen für männlich typisierte Berufe wie bei der Polizei und trauten Frauen in diesen Berufen mehr Erfolg zu.“ Ihr Fazit lautet deshalb wie folgt: „Langfristig kann sich die Sprache so auf die Gesellschaft auswirken.“
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Dass sich mit der Änderung der Bezeichnung auch eine Änderung der Vorstellung einstellt, ist somit zunächst klar. Doch welche weiteren Gründe sprechen für das Gendern? Schauen wir uns die wichtigsten Punkte im Schnellüberblick an:
Um einen neutralen, umfassenden Überblick über die Licht- und Schattenseiten des Genderns zu erhalten, widmen wir uns nun mit den Contra-Aspekten dem Gegenpart:
„Droht uns die Sprachzensur?“- mit dieser Headline sorgte Ulrich Greiner im Mai 201 mit einem Artikel der ZEIT Nr. 23 gehörig für Aufruhr. Plakativ, kontrovers, emotional: die Debatte, ob geschlechtergerechte Sprache nun sinnvoll und sogar wichtig oder doch ein Eingriff in den privaten Sprachgebrauch darstellt, trifft auf schier gegensätzlichste Positionen. „In der Diskussion um eine geschlechtergerechte Sprache geht es (…) um die Ansprache von gesellschaftlichen Subjekten. Wer sich von einem Buch nicht angesprochen fühlt, kann es weglegen. Wer sich jedoch von Gesetzestexten oder Verträgen nicht angesprochen fühlt, kann diese nicht einfach ignorieren“, reagiert mit einem Artikel von Christopher Scholz die Wochenzeitung „der Freitag“ auf die These des ZEIT-Autors, dass das Gendern keine klaren Grenzen mit sich bringt und bald auch Gegenstände wie der „Salzstreuer“ zur „Salzstreuerin“ werden müssten.
In der Frage, wo und ob Grenzen von sprachlicher Neutralität zu setzen sind, ist also noch ein langer Weg der gesellschaftlichen Aushandlung zu erwarten, welcher sicher nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein wird. Was wir uns jedoch anschauen können, sind Studien, welche uns einen Eindruck über die Wirkung des Genderns geben und dabei helfen, ein eigenes Fazit zu ziehen und unsere ausgehende Leitfrage beantworten zu können: Gendern- das Heilmittel gegen die Gender Pay Gap?
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Die „(…) Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes (ohne Sonderzahlungen) der Frauen und Männer im Verhältnis zum Bruttostundenverdienst der Männer“- so definiert das Statistische Bundesamt die Gender Pay Gap, welche bereits in den vergangenen Jahren für Aufsehen sorgte. Im Jahre 2020 verdienten Frauen beispielsweise durchschnittlich 18% weniger als ihre männlichen Kollegen- kann Gendern hier helfen?
„Gendern ist eine sexistische Praxis, deren Ziel es ist, Sexismus zu bekämpfen“- so Nele Pollatschek im Tagesspiegel. Und mit dieser Meinung ist sie nicht alleine- in einer Umfrage von MDRfragt im Juli vergangenen Jahres gaben 86% der 26.000 Befragten an, geschlechtersensible Sprache als unwichtig anzusehen. Dies deckt sich mit Ergebnissen der Forschungsgruppe Wahlen e.V., bei denen 71% der Gewährspersonen ein Einfügen von Sprechpausen als „nicht gut“ empfinden. Dabei ist die Problematik einer Diskrepanz zwischen Frauen und Männern im beruflichen Alltag nach wie vor präsent:
Seit 2016 ist zwar eine leichte Verringerung des Verdienstunterschieds feststellbar, welcher sich von anfänglichen 18 auf 10% senkte, allerdings sind nach wie vor besonders in Branchen, welche überwiegend Männer beheimaten, von einer besonders hohen Gender Pay Gap betroffen. Eine Chance besteht hier im Gendern, das sich zukünftig mehr Frauen angesprochen und willkommen fühlen, auch Berufe dieser Art auszuführen. Von einer identischen Bezahlung sind wir jedoch nach wie vor meilenweit entfernt- wäre hier nicht zumindest Gleichberechtigung innerhalb der Sprache förderlich?
Fakt ist, dass das Gendern Aufmerksamkeit auf sämtliche Beteiligte lenkt und für Inklusion sorgt. Elementar ist hier jedoch, dass Sprechen alleine natürlich nicht genügt- Handeln muss her. Schlussendlich liegt es an jedem selbst, sich eine Meinung zu bilden, jedoch bietet das Gendern eine profitable Chance, auf Missstände aufmerksam zu machen und einen Schritt in die richtige Richtung der Gleichberechtigung zu tätigen. Ein abschließendes Zitat einer Umfrage-Teilnehmerin aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt schließt die Diskussion an dieser Stelle:
„Sicher haben wir in unserer Gesellschaft noch einige "Baustellen" was tatsächliche Akzeptanz, Toleranz und Gleichberechtigung betrifft. Ich halte es für falsch, dies mit einem ´aufgezwungenem/verordnetem Sprech´ und einer unmöglichen Schreibweise quasi in die Köpfe hämmern zu wollen. Mir persönlich wäre es lieber, wenn wir die Werte tatsächlich (vor)leben und an Haltungen arbeiten.“
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