Studierendenleben
26.04.2022
Die Partylöwen schlechthin, geweckt entweder von der Mittagssonne oder dem aufkommenden Kohldampf, eine immanente Faulheit, die bloß Grüßen lässt, weil sie nicht selbst kommen will – all das tritt in den feurigen Ring gegen gelebte Toleranz, Intelligenz und Offenheit Neuem gegenüber. Die heutigen Studierenden dürfen sich allerhand Shitstorms, Stereotypisierung und Klischees anhören, welche sich im Spektrum zwischen Abwertung und Bewunderung bewegen.
Jeder, der oder die aktuell an einer Universität oder Hochschule immatrikuliert ist oder bereits war, wird daher höchstwahrscheinlich zustimmen, wenn gesagt wird: Um vermutlich wenig andere soziale Gruppierungen ranken sich die Gerüchte und Vorurteile enger als um die der Student:innen. Aber warum ist dem eigentlich so?
Die Universität: Groß, weit, unübersichtlich. So zumindest nehmen die meisten Erstis ihre neue Lernumgebung wahr, wenn sie zum ersten Mal den Campus betreten wie damals auch Harry Potter die Große Halle von Hogwarts in seinem ersten Schuljahr. Gegensätzlich zu unserer zauberhaften Filmfigur warten jedoch weder ein Basilisk noch fliegende Kerzen oder Trolle auf uns und doch scheint die Gerüchteküche ordentlich zu brodeln. Kurz gesagt, bieten auch die Otto-Normal-Unis von uns Muggeln ein beinahe genauso großes Mysteriums-Potenzial wie die Abteilung des Zaubereiministeriums im 5. Teil der Saga.
Jetzt aber zunächst zurück zur Realität: Sicherlich kennen wir alle die typischen Klischees, von denen Studierende verfolgt werden, wenn sie sich in der Gesellschaft als solche vorstellen. In diesem Artikel klären wir, welche scheinbar aus der Luft gegriffene Vorurteile es gibt, woher diese stammen und ob sie tatsächlich der Wahrheit entsprechen.
Jeder von uns kennt und besitzt sie, handelt sogar, bewusst oder auch unwissentlich, ziemlich oft nach ihnen ‒ Vorurteile. Obwohl wir wissen, dass sie oftmals nicht der tatsächlichen Realität entsprechen, kann sich niemand davon freisprechen, nicht ein gewisses, stereotypisiertes Vorbild im Kopf zu entdecken, wenn ein bestimmter Begriff fällt. Hierbei müssen nicht einmal bestimmte Menschen, Bevölkerungsgruppen oder ganze Nationen genannt werden, es reichen auch Abstrakta, Gegenstände oder Tiernamen. Alles in dieser Welt scheint in Schubladen sortiert zu sein und kann dort bei bestem Willen nicht heraus. Aber warum ist dem so?
Zäumen wir das Pferd doch einmal von hinten auf und beginnen mit einer Reise ins letzte Jahrhundert zu einer Frau, die uns beim Verstehen helfen kann, wie sich entweder richtige Kategorien und pauschalisierte Klischees in unseren Gehirnen etablieren können. In den 1970er Jahren entwickelt die Psychologin Eleanor Rosch im Rahmen der sogenannten Prototypensemantik, sprich die Lehre von der Wortbedeutung innerhalb der Sprachwissenschaft, eine spannende Theorie. Diese besagt, dass wir Menschen innerhalb der Schubladen unseres Kopfes gewisse kognitive Abstufungen vornehmen, je nachdem, wie stark ein Begriff mit unserem mentalen Konzept übereinstimmt. Rosch meint, es gäbe für jede Klassifizierung Vertreter, die mehr und weniger typisch, somit stereotyp oder eben nicht sind.
Klingt zunächst ein wenig komplex, lässt sich aber anhand eines einfachen Beispiels verdeutlichen: Nehmen wir exemplarisch folgende Tiernamen: Pinguin, Strauß, Rotkehlchen und Spatz. Schließe einmal deine Augen und überlege, welche dieser Arten du eher genannt hättest, sollte der Begriff „Vogel“ fallen. Vermutlich stellen, zumindest hier in Deutschland, Rotkehlchen und Spatzen die prototypischeren Vertreter dar, schließlich treten sie häufig auf und besitzen die meisten Merkmale, denen wir Vögeln zuschreiben würden wie beispielsweise der Flugfähigkeit. Dass uns gewisse Assoziationen eher einfallen als andere ist also dem geschuldet, dass wir gewisse Eigenschaften häufig bei gewissen Arten beobachten und diese nach einer Weile mit ihnen assoziieren. Allerdings kann dieses Vorkommen auch zufällig sein, sodass die Annahmen fälschlich getroffen werden: ein Klischee ist entstanden.
Googelt man eine Definition von Klischee, benennt der Duden dieses als „eingefahrene, überkommene Vorstellung“, DWDS schreibt „pauschalisierte, nicht hinterfragte Vorstellung“. Gemein ist beiden Erläuterungen, dass es sich ausschließlich um Konzepte, um Vorstellungen handelt, nicht aber von dem, wie die Dinge tatsächlich beschaffen sind. Ähnlich wie auch in Roschs Theorie bilden unsere Köpfe Prototypen aus den Merkmalen, die es häufiger bei einer gewissen Personengruppe wahrgenommen hat. Die häufig auftretende Eigenart führt allmählich dazu, dass wir etwas in eine gewisse Kategorie einordnen – ob dies tatsächlich der Wahrheit entspricht, ist selbstverständlich dadurch nicht erwiesen.
Kehren wir mit diesem Hintergrundwissen zurück zu unseren Studierenden-Klischees, können wir sagen, dass für Außenstehende das universitäre Leben noch anonymer, umfassender und undurchsichtiger als beispielsweise ihre schulischen Äquivalente wirkt, wenn es um Organisation und Planung geht. Daher ist es leider logisch, dass bei über den Tag verteilte Vorlesungen oder monatelange Semesterferien schnell das Bild entsteht, Studierende wären bequem oder unproduktiv. Sie sehen, dass Studis oft nicht arbeiten, viel Zuhause oder Abends weg sind und ziehen den Schluss, dass sie zu faul zum Arbeiten sind, womit wir direkt beim ersten Klischee angelangt sind, welches es zu prüfen gilt.
Zwei bis drei Monate vorlesungsfreie Zeit, dazu Wochenenden sowie oftmals einen Tag ganz ohne Seminare, Vorlesungen und Co. ‒ wenn andere hören, wie kurz die Zeit ist, in der Studierende tatsächlich Vorlesungen an der Uni besuchen, sind Neid oder Unverständnis stetige Begleiter von außen. „So viel Zeit hätte ich auch gerne mal!“, ist meist die häufigste Reaktion, die zu hören ist. Doch ist dem wirklich so? Haben wir Studis tatsächlich mehr Freizeit als andere?
Wie bei jeder gesellschaftlichen Gruppierung muss auch hier relativiert werden. Nur weil manche von uns bis 12:00 Uhr Mittags die Federn nicht verlassen und sich anschließend mit jeder Menge Mate oder Kaffee durch den Tag schleppen, heißt es natürlich nicht, dass sämtliche Studierende so sind. Ja, es ist tatsächlich so, dass die aktive Vorlesungszeit auch uns selbst oftmals zu kurz erscheint, allerdings ist dies lediglich ein Teilbestand von dem, was ein Studium und universitäre Pflichten umfasst.
In der vorlesungsfreien Zeit wird nämlich meist weder ausgiebig gechillt, noch geschlafen oder exzessiv gefeiert: Die meisten Studis arbeiten oft in mehreren Jobs gleichzeitig, um die Miete zu zahlen, zudem müssen Haus-, Bachelor- oder Masterarbeiten verfasst werden, Klausuren geschrieben und Praktika absolviert werden. Der Unterschied zur Vorlesungszeit liegt hier in der freieren Zeiteinteilung, die sich jeder selbst legen kann. Da hier jeder individuelle Prioritäten festlegt, befindet sich der Ursprung dieses Klischees bei denjenigen, die tatsächlich ihre Freizeit exzessiv nutzen – dass dies jedoch bei Weitem nicht alle sind, sei hiermit erwiesen.
Feiern. Dies ist vermutlich das erste Vorurteil, welches den meisten außerhalb des universitären Lebens einfällt, wenn die Bezeichnung „Studierende“ fällt. Zugegeben, es stammt vermutlich nicht gänzlich von ungefähr: Ersti-Partys, Bachelor-Feiern und After-Exam-Feten sind nur wenige Beispiele, die dem studentischen Klientel einen Anlass geben zu zelebrieren. Um fair zu bleiben, geht es vermutlich jedoch jeder Gruppe junger Menschen so, die aufeinandertrifft: seien es Lehrgänge, Klassen oder Sportvereine, überall dort, wo Gruppen entstehen, existieren Feiermöglichkeiten.
Besonders Personen zwischen 20 und 30 Jahren möchten ihre Jugend nutzen, neue Menschen kennenlernen und Interessengemeinschaften bilden, schließlich gibt es vermutlich keinen besseren Rahmen, um neue Bekanntschaften zu schließen als in der Universität. Dieses Klischee sei daher insofern bestätigt, dass sämtliche Personengruppen eines gewissen Alters gerne feiern, darunterfallend auch die Studis. Und wenn diese feiern, dann sind die Partys legendär, für manche sogar die besten, die es gibt.
Ein Studium ist eine wissenschaftliche Ausbildung, die auf Theorie fußt und Forschung betreibt. Doch wird in den Bänken des Hörsaals denn ausschließlich gefachsimpelt, ohne den Bezug zur arbeitsweltlichen Realität zu behalten?
Wie vermutlich aus den ersten beiden Punkten hervorgeht, muss die Antwort auch hier wie folgt lauten: Es kommt drauf an. Zahlreiche Studiengänge bieten Bezüge zur Arbeitswelt in Form von Praktika an, zudem sollen sie aktiv darauf vorbereiten, dass die Studierenden das nötige Basiswissen besitzen, um in ihren späteren Beruf erfolgreich sein zu können.
Dass ein Studium primär auf abstrakten Konzepten und jeder Menge Theorie basiert, ist zutreffend, allerdings stimmt der Teil des Klischees nicht, dass Studierende noch nie gearbeitet haben. Im Gegenteil: zahlreiche Studis müssen, um ihr Leben wie Mietkosten, Lebensmittel und Semesterbeiträge finanzieren zu können, zusätzlich jobben. Viele arbeiten auch als Werkstudent:innen in Unternehmen, um sich auf ihr späteres Berufsleben vorzubereiten oder absolvieren Praktika.
Finden Sie, dass Student:innen sich oft für etwas Besseres halten? – diese Frage ist im Rahmen einer im Jahr 2016 erstellten Umfrage durch das Rechercheinstitut Statista gestellt worden; das Ergebnis: eindeutig. Knapp 59% der Teilnehmenden stimmen mit entschiedenem ja ab, lediglich 31% sprachen sich gegen den Impuls aus. Eine klare Charakterisierung oder doch lediglich unfundiertes Schablonen-Denken?
Dass Studierende aus gesellschaftlicher Perspektive der höheren Bildungsschicht angehören, ist sicher kein Geheimnis; daher kann es durchaus vorkommen, dass gewissen Personen ihr Wissensdurst zu Kopf steigt. Klugscheißeritis, Überheblichkeit sowie Angebereien können potenzielle Folgen sein, die symptomatisch in der Grafik gespiegelt werden.
Dass jedoch sämtliche Studis ausschließlich im eigenen Snob-Dasein schmachten, ist zu weit gegriffen. Und nicht zu vergessen: Es ist nicht alles Gold, das glänzt, wie William Shakespeare in seinem Stück „Der Kaufmann von Venedig“ äußert.
Die Universität ist groß, weit und unübersichtlich, da verläuft sich selbst die angeblich hellste Kerze auf dem Campus-Kuchen in dunklen Gassen. Ernsthaft, selbstverständlich existieren Studis, die meinen, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben, allerdings kann man dies nicht auf alle pauschalisieren. Viele möchten einfach gerne lernen und sich auf ihr späteres Berufsleben vorbereiten, ohne anderen ihr neues Wissen unter die Nase reiben zu müssen.
Semestergebühren, Literatur, Lebenserhaltungskosten: wer als Studierender nicht mehr Zuhause wohnt und selbstständig für das eigene Wohlergehen sorgen muss, der wird mit Sicherheit mindestens einmal während der akademischen Laufbahn auf dem Trockenen sitzen.
Obwohl die Eltern bis zum Abschluss der ersten Ausbildung einen Teil zur Finanzierung beitragen müssen, fallen dennoch erhebliche Kosten an, die ein Otto-Normal-Studi schwer allein bewerkstelligen kann. Für Vollzeitarbeitende mag dies zu managen sein, allerdings haben die meisten wenig Zeit, neben dem Studium arbeiten zu gehen, zumindest ausschließlich in Teilzeit. Ergo: Sparen ist angesagt.
So, nachdem wir uns nun die prägnantesten Stereotype eines Studierenden angesehen haben, ist es an der Zeit zu reflektieren, was tatsächlich der Realität entspricht. Erinnern wir uns zurück an Frau Rosch und die Entstehung von Prototypen: sie beweist, dass Klischees selbstverständlich nicht von ungefähr kommen und stets Personen existieren, auf die unsere oftmals vorschnellen Annahmen zurückzuführen sind. Unsere Gesellschaft ist bunt, Hashtag diversity gilt als neues Lebensmotto zu etablieren. Die Zeiten, wo einige wenige Personen Stigmata für eine ganze gesellschaftliche Gruppe kreieren, sollten vorüber sein.
Doch selbstverständlich liebt es unser Hirn auch weiterhin, Dinge zu kategorisieren, ihnen charakteristische Eigenschaften zuzuschreiben und sie zu bewerten. Dabei ist jedoch wichtig zu beachten, dass weder das eine noch das andere Extrem zutreffend ist: Studis sind weder ständig am feiern noch lernen sie 24/7, sitzen weder auf dem Geldbeutel von Mama noch sind sie andauernd pleite. Natürlich bewegen sich sämtliche Personen einer Gruppe innerhalb eines abgesteckten Spektrums aus Extremen, allerdings gilt es wie bei jedem anderen Menschen auch: Erst beobachten, dann einschätzen.
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